Hamburg (ots) –
Recherchen der ARD-Sendung „Reschke Fernsehen“ zeigen, dass es in der europäischen Grenzschutzagentur Frontex erhebliche Probleme beim Aufbau der ersten bewaffneten Einheit in der Geschichte der Europäischen Union gibt: dem so genannte Standing Corps. Zudem ereigneten sich nach Erkenntnissen der Redaktion Anfang dieses Jahres in Anwesenheit von Frontex-Personal mindestens zwei mutmaßliche Pushback-Vorfälle in der Ägäis, bei denen Migranten offenbar zurück in türkische Gewässer geschickt wurden. Bei seinem Antritt Anfang 2023 hatte der neue Frontex Chef Hans Leijtens noch betont, dass es unter seiner Leitung keine Beteiligung von Frontex-Personal an Pushbacks geben werde. Frontex bestätigte auf Nachfrage gegenüber „Reschke Fernsehen“, dass beide Vorfälle und die mögliche Verwicklung von Frontex intern geprüft werden.
In der aktuellen Folge der ARD-Sendung „Reschke Fernsehen“ steht Frontex im Mittelpunkt; die mit Abstand teuersten EU-Agentur. Es geht um exklusive Einblicke in die Strukturen der europäischen Grenzschutzagentur und um aktuelle Vorfälle an der griechischen Grenze.
Kritik an Elite-Einheit
Die Aufgabe von Frontex besteht darin, die europäischen Mitgliedsstaaten beim Grenzschutz zu unterstützen, irreguläre Migration verhindern zu helfen und gleichzeitig auf die Einhaltung der Menschenrechte an den Grenzen zu achten. Als Reaktion auf stark steigende Migration nach Europa entstand zudem das Standing Corps. Innerhalb von Frontex ist das die erste eigene europäische Grenzschutzeinheit mit Waffengewalt und das Prestigeprojekt der EU-Kommission im Kampf gegen irreguläre Migration und grenzüberschreitende Kriminalität. Bis 2027 sollen schrittweise insgesamt 10.000 Mitarbeiter zur Verfügung stehen.
Wie die Recherchen von „Reschke Fernsehen“ jetzt zeigen, lassen die Zahlen von EU-Kommission und Frontex das neue Standing Corps bislang größer erscheinen als es im Einsatz tatsächlich ist. So sollen den Planungen zufolge Ende 2023 bereits rund 7500 der künftig 10.000 Personen bereitstehen. Tatsächlich waren aber zu keinem Zeitpunkt so viele Personen für Frontex im Einsatz, sondern nur rund 4.200 Personen. Zum anderen haben gleich mehrere Mitgliedstaaten intern deutliche Kritik am Standing Corps geübt, wie aus einem internen Protokoll hervor geht.
Interne Untersuchungen zu möglichen Pushback-Fällen
„Reschke Fernsehen“ hat zudem Vorfälle an der griechischen Grenze analysiert, an denen Frontex-Mitarbeiter mutmaßlich beteiligt waren. Zusammen mit der Berliner Rechercheagentur Forensis hat die Redaktion zwei möglichen Pushback-Fälle in der Ägäis rekonstruiert. Pushbacks, also Zurückschiebungen, gelten als illegal, wenn Personen zurück über die EU-Außengrenze gedrängt und daran gehindert werden, einen Asylantrag zu stellen. Solche Aktionen widersprechen dem Auftrag von Frontex, die Grenzen unter Einhaltung der Grundrechte zu sichern. Im Interview mit „Reschke Fernsehen“ räumt Frontex-Direktor Hans Leijtens ein, dass die beiden Fälle untersucht würden und eine mögliche Verantwortung von Frontex-Personal geprüft werde. Die Verwicklung in illegale Pushbacks einzelner Mitgliedsstaaten unter Beteiligung von Frontex hatte die EU-Grenzschutzbehörde in den letzten Jahren in die tiefste Krise seit der Gründung 2004 gestürzt. Der langjährige Direktor Fabrice Leggeri musste 2022 aufgeben. Sein Nachfolger Hans Leijtens trat mit dem Versprechen an, solche Pushbacks nicht mehr zu dulden.
Der Grenzschutzagentur mit Sitz in Warschau steht durch die aktuellen Vorfälle erneut in der Kritik – und Direktor Hans Leijtens muss sich etwas mehr als ein Jahr nach Amtsantritt bereits die Frage stellen, ob der von ihm angekündigte Neustart tatsächlich gelingt.
Angesichts der neuen Vorwürfe sagt Leijtens gegenüber „Reschke Fernsehen“: „Wir sind eine moderne Agentur und wir halten europäische Werte hoch“. Frontex-Personal dürfe nicht zuschauen, wenn direkt vor ihren Augen illegale Pushbacks durchgeführt würden. „Ich möchte, dass sie wirklich etwas unternehmen“ sagte Leijtens mit Blick auf sein Personal. Der Frontex-Chef fordert sein Personal also auf, einzuschreiten und heikle Vorfälle auf jeden Fall zu melden – das ist ein neuer Ton aus der Warschauer Behörde.
Mehr dazu bei „Reschke Fernsehen“, Veröffentlichung: Donnerstag, 23.05.2024, 23:35 Uhr im Ersten und bereits ab 18 Uhr in der ARD-Mediathek.
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