Wer kennt es nicht? Morgens spielt der Radiowecker einen Charthit und schon bleibt der Song den ganzen Tag im Ohr. Oft ertappen wir uns sogar dabei, dass wir ein Lied schon seit einer ganzen Weile vor uns hin summen, ohne es zu merken, oder sogar einzelne Textzeilen immer wieder singen. Ganz klar, ein Ohrwurm. Doch wie entsteht so eine Dauerschleife im Kopf, warum sind manche Songs eher prädestiniert, zum Ohrwurm zu werden und wie wird man die penetrante Melodie wieder los?
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Das Phänomen Ohrwurm
Unter einem Ohrwurm ist eine Melodie oder eine Liedzeile zu verstehen, die im Kopf immer wieder und wieder abgespielt wird, ohne dass dies bewusst herbeigeführt wird. Neurologen haben für dieses Phänomen den Fachbegriff „involuntary musical imagery“ geprägt und beschreiben damit das Abbild eines Musikstücks, das im Gehirn unfreiwillig entsteht. Im englischen Sprachgebrauch werden Ohrwürmer als „sticky song“ (klebriges Lied) bezeichnet, was ebenfalls bildlich darstellt, was bei einem Ohrwurm im Kopf passiert.
Ohrwürmer können ohne konkreten Auslöser entstehen und Stunden, Tage, sogar bis zu drei Wochen im Gehirn verankert bleiben. Das Interessante daran: Es ist nicht möglich, das Entstehen eines Ohrwurms rational zu beeinflussen. Der unwillkürliche Aspekt ist es, der dieses neurologische Phänomen charakterisiert.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Ohrwurm keine neue Entwicklung ist, sondern dass schon viele Generationen zuvor mit der Dauerschleife im Gehirn geplagt waren.
So entstehen Ohrwürmer
Wissenschaftler sehen im Phänomen des Ohrwurmes einen Beleg dafür, dass die Musik eng mit der grundlegenden Natur des Menschen verknüpft, ein Leben ohne Musik nahezu unmöglich ist.
Auch wenn der Ohrwurm als neurologisches Phänomen bislang noch wenig erforscht ist, gehen Wissenschaftler davon aus, dass sie in gewisser Weise mit Träumen und Erinnerungen gleichzusetzen sind. Sie alle sind nicht mit rationalen Prozessen im Gehirn verknüpft, sondern basieren auf unterbewussten Aktivitäten des Gehirns. Sie sind so etwas wie eine akustische Form der Erinnerung. Dafür spricht unter anderem die Tatsache, dass Menschen mit einer starken Beeinträchtigung des Gehörs ebenso zu Ohrwürmern neigen wie Menschen mit einem gesunden Gehör. Wer grundsätzlich einmal die Fähigkeit besessen hat, Musik zu hören, kann Ohrwürmer entwickeln. Die Prädisposition für einen Ohrwurm ist im Unterbewusstsein verankert und entsteht, wenn sich im Gehirn eine emotionale Bindung zu einem Song aufgebaut hat. Lieder, die im Gehirn mit einer starken Emotion verbunden sind, werden also tendenziell eher zu einem Ohrwurm.
Fußballhymnen zum Beispiel gehören zu den Klassikern unter den Ohrwürmern. Sie transportieren große Gefühle, Gemeinschaftssinn, Siegestaumel oder auch Enttäuschung und Trauer. Unter ähnlichen Gesichtspunkten wird zum Beispiel auch die Musik im GAming eingesetzt: Wer auf einer Mission in seinem Lieblings Rollenspiel oder Egoshooter GAme unterwegs ist, wird Teile der musikalischen Untermalung unter Umständen noch lange Zeit im Kopf behalten, nachdem er das Spiel beendet hat. Auch Melodien mit einem hohen Wiedererkennungswert bleiben besonders gerne “hängen”, solche werden gerne in der Werbung aber auch bei vergnüglichen Kirmesattraktionen und in Spielbanken und Online Casinos ausgewählt. Casino Anbieter setzen Musik in der Spielumgebung so ein, dass sie eine Wohlfühlatmosphäre entstehen lässt und das Gefühl von Glück und Erfolg transportiert. So wird ebenfalls eine emotionale Brücke zum Unterbewusstsein geschlagen, das die gespielten Songs unwillkürlich wieder hervorbringen und in Dauerschleife abspielen kann. Auch legendäre Filmsongs oder große Liebesballaden können Ohrwurmpotenzial haben, weil sie eine emotionale Brücke schlagen und sich deshalb schnell im Gehirn festsetzen und wieder abgerufen werden können.
Wie genau ein Song beschaffen sein muss, um zu einem Ohrwurm zu werden, ist demnach eine Frage des individuellen Empfindens. Es gibt allerdings einige wissenschaftliche Hinweise darauf, dass bestimmte Aspekte einigen Liedern mehr Ohrwurmpotenzial zuschreiben als anderen.
Eine Gruppe aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Kassel hat sich intensiv mit dem neurologischen Phänomen beschäftigt und herausgefunden, dass Songs mit Text eine stärkere Prädisposition haben als instrumentale Stücke. Auch der Aufbau eines Stückes kann dazu beitragen, dass ein Song leicht zum Ohrwurm wird. Ohrwurmforscher Prof. Jan Hemming, der am Kasseler Institut für Musik mit 60 Probanden geforscht hat, fasst zusammen:
„Es gibt sicher ein paar Voraussetzungen, die ein Stück erfüllen muss. Dazu gehört eine eingängige Melodie – idealerweise eine, die im weitesten Sinn „schleifenfähig“ ist, also wo man am Ende an einem Punkt landet, der geradezu zu einem Da Capo einlädt, sodass der Kopf es leicht hat, die Melodie wieder von vorne beginnen zu lassen. Das sind schon mal gute Voraussetzungen.
Dann eine einfache rhythmische Struktur – also alles, wozu man sich gut im Rhythmus bewegen kann, ist gut.“
(Quelle: https://www.swr.de)
Ein Großteil der modernen Chartsongs wird gezielt nach diesen Gesichtspunkten komponiert. Besonders häufig ist ein gleichmäßiger und ständig wiederkehrender Melodiebogen, das bedeutet, dass die Melodie zunächst gleichmäßig aufwärts geführt wird, und dann wieder nach unten verläuft. Ein solcher Melodiebogen ist die Basis vieler klassischer Kinderlieder. Häufige Wiederholungen einzelner Melodie- und Textpassagen machen einen Song zusätzlich einprägsam.
Hermann Rauhe, Musikwissenschaftler und -pädagoge an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, hat versucht, eine Art Formel für den perfekten Ohrwurmsong zu finden:
„Die meisten Ohrwürmer basieren auf einem musikalischen Motiv aus drei Tönen. Nachdem dieses Motiv sich mehrmals wiederholt hat, sollte eine Variation des Motivs folgen, ein Überraschungsmoment. Das überrascht den Zuhörer. Das Erfolgsgeheimnis eines Ohrwurms liegt in der korrekten Dosierung von Vertrautheit und Überraschung. Die sogenannte Hookline, die Melodielinie eines Liedes, und das Riff, eine kurze, melodisch und rhythmisch prägnante Phrase in ständiger Wiederholung, sind besonders wichtig.“
(Quelle: https://www.welt.de)
Der wesentlichste Faktor ist aber die persönliche Erinnerung des Hörenden. Ist ein Lied mit einer individuellen Erinnerung verknüpft, sei es ein konkretes Erlebnis, das Gefühl eines bestimmten Lebensabschnittes oder eine starke Emotion wie Liebeskummer, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass es später immer wieder aus dem Unterbewusstsein nach oben kommt. Das bedeutet unglücklicherweise aber nicht, dass sich nur Lieder zum Ohrwurm entwickeln, die wir gerne hören. Genauso häufig, vielleicht sogar häufiger, geistern Melodien und Liedfetzen immer und immer wieder in unserem Kopf herum, die wir als ausgesprochen nervtötend empfinden.
Inzwischen gehen Neurologen davon aus, dass Ohrwürmer häufig in einer eher reizarmen Umgebung entstehen, wenn das Gehirn nicht stark beschäftigt ist. Die freien Kapazitäten, die Leere im Gehirn, wird dann vom Unterbewusstsein mit Musik gefüllt. Dies soll eine wesentliche Grundvoraussetzung für das Entstehen eines Ohrwurmes sein.
Ohrwürmer treffen nicht jeden gleichermaßen
Es mag unfair klingen, ist aber wissenschaftlich nicht von der Hand zu weisen: Nicht jeder Mensch wird gleichermaßen von Ohrwürmern geplagt. Besonders stark betroffen sind Studien zufolge Frauen, besonders introvertierte Menschen und professionelle Musiker oder Menschen, die Musik besonders stark und regelmäßig ausgesetzt sind.
Eine starke Disposition für Ohrwürmer haben außerdem Menschen, die Musik sehr intensiv hören und sich auf einer emotionalen Ebene damit beschäftigen, also schnell eine emotionale Bindung zu einem Stück aufbauen. Dies trifft auch auf Menschen zu, die generell eine niedrige Reizschwelle haben. Eine reizarme Umgebung kann die Entstehung eines Ohrwurmes zusätzlich fördern.
Übrigens kommt es nicht darauf an, wie häufig ein Stück gehört wird, sondern wie stark die emotionale Bindung ist, die das Gehirn dazu aufbaut.
Ohrwürmer wieder loswerden: So klappt es
Ein Ohrwurm wird meist erst dann als störend empfunden, wenn er bis ins Bewusstsein vordringt. Dann wird er allerdings schnell anstrengend und kann die Konzentration stören. Die meisten Menschen möchten die Dauerschleife im Gehirn deshalb schnell wieder loswerden.
Eine erfolgversprechende Möglichkeit ist die Überlagerung des Ohrwurmes durch ein anderes akustisches Signal. Dies kann zum Beispiel durch das bewusste Hören anderer Musikstücke oder Audiodateien erfolgen. Auch intensive Gespräche können helfen.
Nicht musikalische Reize können das Gehirn ebenfalls von der akustischen Dauerschleife ablenken. Denksportaufgaben wie Schach oder Sudoku eignen sich gut.
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