Wien (ots) –
APA-Konferenz: Angriffe auf Faktenchecks im Aufwind – KI als Spürhund für problematische Inhalte – Pig: Qualitätsmedien als „sichere Haltegriffe“
Fake News und Desinformation werden durch globale Probleme befeuert. Unabhängige Medien rüsten ihre Faktencheckabteilungen auf, doch sehen sie sich zusehends mit neuen Strategien und Attacken konfrontiert. Bei der Veranstaltung „The Future of Fact Checking“ traf sich die Branche auf Einladung der APA – Austria Presse Agentur am Donnerstag in Wien, um sich über jüngste Entwicklungen auszutauschen. Journalistin und TV-Moderatorin Susanne Schnabl, ORF, führte durch Impulsvorträge und Panels.
„Es muss unserer Gesellschaft viel daran liegen, dass wir alle zwischen Fakten und Fakes – viele davon zusehends KI-generiert – unterscheiden lernen können. Es muss sichere Haltegriffe geben, die helfen und Einordnung liefern“, so APA-CEO Clemens Pig in seiner Eröffnungsrede. Diese Haltegriffe seien Qualitätsmedien. Die Branche dürfe die nächste Technologierevolution – generative KI – nicht an sich vorbeiziehen lassen. Es handle sich um eine Jahrhundertchance.
„Fake News, Desinformation und Propaganda haben in der digitalen Welt Hochkonjunktur“, hielt APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger fest. Die Auswirkungen seien in Form von Polarisierung, Hetze und einer neuen Form der Gegenaufklärung auch in der analogen Welt spürbar. „Fact Checking liefert hier ein notwendiges Gegengewicht an faktenbasierter und überprüfter Information“, sagte Bruckenberger und strich das 2020 eingerichtete Faktencheckteam der Nachrichtenagentur (https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230321_OTS0089) hervor. Auch setze man auf nationale und internationale Vernetzung – etwa im Rahmen des German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO) (https://gadmo.eu/), einer Plattform führender deutschsprachiger Faktencheck-Organisationen.
Digitalexpertin Ingrid Brodnig erklärte, dass emotionale Inhalte öfters mit anderen geteilt werden und sich Fake News so schneller als Faktenchecks verbreiten. Ein wichtiger Faktor sei Vertrauen. Wenn beispielsweise ein Politiker hohes Vertrauen genießt, eine Faktencheckeinrichtung aber nicht, bringe ein Faktencheck wenig, so Brodnig. Die Arbeit von Faktenchecker:innen erschwere, dass diese zusehends attackiert werden. Häufig werde behauptet, dass Faktenchecks von bestimmten Einrichtungen – etwa der Pharmaindustrie – bezahlt würden. „Wenn man fachlich keine guten Argumente hat, geht man gegen die Person“, erklärte Brodnig. Meinung und Fakten würden häufig verwischt. „Wir brauchen ein Publikum, das das erkennen kann.“
Faktencheckorganisationen sollten Einordnungen wiederholen, empfahl die Digitalexpertin. Denn auch Fake News zirkulieren immer wieder im Netz. Teilweise hüpfen diese auch identisch von Land zu Land, erklärte Eva Wackenreuther, Ressortleiterin Faktencheck bei AFP. Manchmal würden renommierte Nachrichtenseiten eins zu eins nachgebaut, um Falschinformationen in ein glaubwürdiges Umfeld einzubetten, so Wackenreuther. Problematisch sei, dass falsche Tatsachenbehauptungen gerne als Meinungen klassifiziert werden, merkte Susanne Lackner, stv. Vorsitzende der KommAustria, an. Werden diese beschränkt, komme häufig der Vorwurf der Zensur auf.
„Es wäre wunderbar, wenn es mehr Medienhäuser gäbe, die Faktenchecks betreiben“, sagte Stefan Voss, Leiter der Abteilung Verification der dpa, im Rahmen einer Diskussion. Es brauche auch mehr Ausbildungen in diese Richtung. Prinzipiell hielt er fest: „Faktenchecks prüfen Behauptungen. Wir prüfen keine Meinungen. Wir sind keine Meinungspolizei.“
Angesichts der Fülle an Fake News müsse man filtern, welche man überhaupt aufgreift. Das passiere bei „profil“ nach „Bösartigkeit und Reichweite“, erklärte Jakob Winter, Leiter des Faktencheck-Teams des Nachrichtenmagazins. Ersteres beziehe sich v.a. darauf, ob eine Behauptung imstande sei, Schaden anzurichten. Im Faktencheck-Team der APA greife man auch Themen auf, die „unter dem normalen Medienradar fliegen“, sagte APA-Verification-Officer Florian Schmidt. „Teilweise sind es sehr absurde Sachen, die aber tausendfach in sozialen Medien geteilt werden.“ Diese unterziehe man einer Überprüfung auf Basis von Statistiken, Daten oder auch Expert:innen.
Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien, wünschte sich, dass Wissenschafter:innen mit ihrer Expertise häufiger in Faktenchecks eingebunden werden. Speziell nach manchen Interviews mit großer Reichweite – wie jenem ORF-„Sommergespräch“ mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) – hätte es „zahlreiche Klarstellungen gebraucht“. Er plädierte an Journalist:innen, in Interviewsituationen stärker gegen irreführende Argumentationen vorzugehen.
Viel Desinformation zirkuliert auf großen Plattformen. Youtube geht dagegen unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) vor, erklärte Sabine Frank, Head of Governmental Affairs and Public Policy bei Youtube in Mittel- und Osteuropa. So mache KI mittlerweile auf 93 Prozent der Inhalte aufmerksam, die letztlich nach einer Prüfung durch Menschen von der Plattform genommen werden. Drei Viertel der Inhalte würden entfernt, bevor sie von zehn Personen angesehen wurden, so Frank. Digitalexpertin Brodnig kritisierte, dass derartige Zahlen zwar beeindruckend seien, aber die Datensätze auch für Forscher zur Auswertung zugänglich sein sollten. Auch brauche es mehr Transparenz, wie das Training von KI ablaufe.
Sehr schwierig sei es, Faktenchecks, die häufig an der Schnittstelle von Wissenschaft und Journalismus operieren, für junge Personen interessant zu machen, sagte APA-Faktenchecker Schmidt. Das sei aber speziell auf Plattformen wie TikTok nötig. „Auf TikTok sind die ersten zwei Sekunden entscheidend“, so Ines Holzmüller vom Faktencheck-Kanal Bait. „Als Journalistin ist das schwierig, weil man nicht zu sehr zuspitzen und emotionalisieren möchte.“ Man müsse sich aber dennoch bemühen und kreativ vorgehen. „Es muss immer catchy sein“, bestätigte Idan Hanin, der für den „Zeit im Bild“-Kanal auf TikTok tätig ist. „Es braucht nicht die perfekten Deep-Fakes, damit Leute auf etwas hereinfallen. Es fängt schon viel früher an“, warnte Hanin.
Das Event wurde von Google, Stadt Wien, RTR/KommAustria und dem AIT unterstützt.
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